Soziale Netzwerke

  

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Auf die Bedingungen kommt es an

ver.di Frauen diskutieren über Migration und Beruf

Schweinfurt   Auf allen politischen Ebenen sei derzeit das Thema  Migration im Fokus. „In der EU wird über die künftige Asylpolitik diskutiert, im Bund über die Verbesserung der Zuwanderung von Fachkräften und landespolitisch über die Anerkennung von ausländischen Abschlüssen“, so die Vorsitzende Kathi Petersen bei ihrer Begrüßung. Sie freute sich, die zweite Bürgermeisterin Sorya Lippert, die Leiterin des Jobcenters Andrea Schranner, Vertreterinnen aus dem Integrationsbeirats unter anderem Marion Both und weitere Interessierte begrüßen zu können. Wichtig sei für die Debatte,  die Fakten zu  kennen. Der Leiter der Abteilung Sozial- und Arbeitsmarktpolitik des DGB Bayern David Schmitt war  daher eingeladen, einen Überblick über den  aktuellen  Arbeitsmarkt zu geben.

Die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit zeigen: es könne derzeit nicht von einem allgemeinen Arbeits- und Fachkräftemangel gesprochen werden. Dennoch werde deutlich, dass in einigen Berufsfeldern und Regionen zunehmend  eine  Knappheit an verfügbaren Fachkräften beobachtet werden kann. „Daher gibt es die Forderung, dass wir deutlich mehr Zuwanderung brauchen“, so David Schmitt. In der EU sei dies dank der Arbeitnehmerfreizügigkeit, also damit das Recht jeder einzelnen, in einem anderen EU Land arbeiten zu können, relativ einfach. Schwieriger werde dies bei Migration aus Drittstaaten. „Wir erleben, dass ausländische Arbeitskräfte im Niedriglohnsektor deutlich überrepräsentiert sind“, stellt Schmitt dar. Die Annahme, dass Beschäftigung Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermögliche, kann nicht belegt werden. Der DGB Experte machte deutlich, dass es dafür gravierende Hürden gebe. „So sei häufig der Aufenthaltstitel mit dem Arbeitsvertrag verbunden. Damit verlieren die Menschen Sicherheit. Es fehle am Zugang zu sozialer Absicherung und durch mangelnde Kontakte und Netzwerke sind die Menschen häufig verheerenden Situationen ausgesetzt“, beschreibt David Schmitt. Damit ist diese Form der Beschäftigung eine Prekariatsfalle und kein Sprungbrett. „Wir brauchen auch deshalb eine stärkere Regulierung des Niedriglohnsektors. Für die Beschäftigten mit Migrationsgeschichte genauso, wie insgesamt.“

 

Mehr Infrastruktur und Bildung

Schmitt machte deutlich, dass Zuwanderung alleine nicht die Lösung sei. „Deutschland, und insbesondere Bayern, sei immer noch Schlusslicht bei der Erwerbstätigkeit von Frauen“, so Schmitt. Viele Frauen befänden sich bei uns in der Teilzeitfalle. Die ver.di Bezirksvorsitzende Doris Berz fordert deshalb auch, dass es mehr Investitionen in unsere Infrastruktur braucht: Wir haben immer noch zu wenig Kinderbetreuungs- und bildungseinrichtungen. Wir brauchen mehr Angebote rund um die Pflege von Angehörigen. David Schmitt untermauerte diese Forderung mit Zahlen. „Wäre die Erwerbsquote von Frauen ähnlich hoch wie in den Top 5 Ländern in der EU gäbe es insgesamt 890.000 Vollzeitkräfte mehr in Deutschland." „Noch nie waren Frauen so gut ausgebildet und dennoch haben sie erhebliche Hemmnisse. Wir brauchen neben mehr sozialer Infrastruktur auch eine Debatte über Arbeitszeit. Nur so können wir den Frauen, die mehr arbeiten wollen auch die nötigen Bedingungen anbieten“, so Marietta Eder, ver.di Geschäftsführerin. Dazu gehöre auch die Streichung von steuerlichen Fehlanreizen. „Es ist gut, dass nun endlich wieder über die Streichung des Ehegattensplittings diskutiert wird“, so Eder.

„Ohne deutlich bessere Aus- und Weiterbildung wird es die Fachkräfte von heute und morgen nicht geben“, betonte Schmitt. Immer noch verlassen Schülerinnen und Schüler die Schule ohne Abschluss. Dazu komme, dass jeder vierte Ausbildungsvertrag derzeit frühzeitig aufgelöst werde. Die Tendenz sei sogar steigend. Jeder dritte bricht seinen Bachelor Studiengang ab. Deshalb dürfe bei der Berufsorientierung nicht gespart, sondern im Gegenteil es muss deutlich mehr investiert werden. Auch die Stärkung der Mitbestimmung der Betriebs- und Personalräte und insbesondere der Jugend- und Ausbildungsvertretung sei für bessere Standards wichtig.

David Schmitt blickte hier in die Zukunft. Nach der Ausbildung sei lebenslang das Thema Qualifikation wichtig. Hier gebe es gerade wegen den neuen Entwicklungen viel zu tun.

In der Diskussion wurde deutlich: ohne bessere Arbeits- und Ausbildungsbedingungen gibt es keine Fachkräfte von morgen. Zuwanderung, unabhängig aus welchen Ländern, ist ein Teil der Lösung. Hier gibt es noch viel zu tun. „Ein akutes Problem sei die Anerkennung von Abschlüssen. Hier sei häufig nicht einmal klar, wer hierfür zuständig sei“ ergänzte Andrea Schranner.

Kathi Petersen machte am Schluss deutlich: die Debatte über den künftigen Arbeitsmarkt sei wichtig. Gleichzeitig muss klar sein: es kommen Menschen zu uns. Daher brauchen wir auch weiterhin eine offene Gesellschaft.

Foto: Marietta Eder